Einen Schritt voraus: So gewinnen Unternehmen in der Zukunft Tech Talente

Christoph Emmert
6 min readAug 12, 2022
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Wusstest Du, dass Instagram nur 12 Mitarbeiter hatte, als es von Facebook für 1 Milliarde Dollar gekauft wurde? In der digitalen Welt können eine Handvoll Menschen mit einem Computer in der Hand enormes erreichen. Selbst ein Non-Tech Unternehmen funktioniert ohne den Einsatz von Software kaum noch. Ein guter Entwickler kann Fluch oder Segen zugleich sein. Segen, wenn man ihn hat. Fluch, wenn man ihn nicht hat.

Bedauerlicherweise fällt es Unternehmen schwer, die richtigen Tech Talente für sich zu gewinnen. Aber gerade die braucht es, damit Unternehmen wettbewerbsfähig sind und vor allem — bleiben. Das führt dazu, dass die großen Big Tech Player mittlerweile paradiesische Arbeitsbedingungen bieten — üppiges Gehalt, Kita, Saftbar, Schlaflounge, you name it. Das macht es für das familiengeführte Unternehmen aus der Schwäbischen Alb nicht gerade einfacher, konkurriert man seitdem Einzug von Home Office ja doch auch irgendwie mit den Großen. Aber selbst die Big Tech Unternehmen müssen immer kreativer werden, um als Arbeitgeber interessant zu bleiben und hervorzustechen. Wie also schafft es ein Unternehmen interessant und attraktiv für die Tech Talente von heute und morgen zu sein?

Um diese Frage zu beantworten, will ich drei Hypothesen erläutern, die zeigen, welche Faktoren die Arbeitgeberattraktivität bestimmen sowie Ansatzpunkte skizzieren, wie Unternehmen zukünftig attraktiv sind. Was ist die Grundlage meiner Hypothesen? Meine eigene Erfahrung als “Tech-Talent”, zahlreiche Bewerbungsgespräche, Gespräche mit meinen Freunden (aus der HR-Abteilung) und reflektiertes Nachdenken über unsere Generation.

Das sind meine Hypothese:

Hypothese 1: Rahmenbedingungen passen sich an

Zu allererst braucht es ein Basis Verständnis über die Rahmenbedingungen. Durch Corona hat sich der Wandel hin zu einer modernen Arbeitswelt rasant beschleunigt. Hybride Arbeitsmodelle sind normal. Jeder kennt mittlerweile die Tücken von Teams, Zoom und Co. Wir haben eine Vorstellung davon bekommen, wie eine moderne Arbeitswelt aussieht. Natürlich ist dieser Wandel nicht innerhalb von ein, zwei Jahren vollzogen und Unternehmen werden noch Jahre damit beschäftigt sein, modernes Arbeiten für die breite Belegschaft zu ermöglichen. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass die Rahmenbedingungen immer weniger ein Alleinstellungsmerkmal für Unternehmen sein werden, Mitarbeiter zu werben. Das heißt unter anderem, Unternehmen werden nicht darum herum kommen, flexibles und ortsunabhängiges Arbeiten zu ermöglichen, einen gewissen Standard an Benefits anzubieten und auch Gehaltspakete anzupassen.

Warum? Weil es die einfachste Art ist, mit dem Markt mitzuhalten und attraktiv zu bleiben. Ein Unternehmen hebt sich in der Zukunft nicht mehr dadurch ab, indem es ein Fitness-Abo oder Job-Rad bezuschusst. Ein Unternehmen grenzt sich negativ von der Konkurrenz ab, wenn es das nicht tut.

Das spielt natürlich all den Techies in die Karten und viele fragen sich, ob das nicht Luxus ist, so etwas als Standard zu beschreiben. Ich glaube nicht unbedingt. Das Beispiel von Instagram zeigt, dass das Wertschöpfungspotenzial pro Mitarbeiter gewaltig gestiegen ist. Ein kleines Team innerhalb des Unternehmens ist in der Lage, einen enormen Wert zu kreieren oder Effizienzen zu steigern — für das Unternehmen. Warum sollte sich diese (potentielle) Wertsteigerung pro Mitarbeiter nicht auch in den Arbeitsbedingungen niederschlagen?

Die Ausgangslage: In Zukunft kann ein Unternehmen also nicht mehr damit punkten, in dem es besonders fortschrittliche Arbeitsbedingungen oder Benefits anbietet, weil (früher oder später) dies eher als Standard begriffen wird. Was kann ein Unternehmen dann aber tun, um attraktiv zu sein und sich von der Masse abzuheben?

Hypothese 2: Menschen entscheiden sich für Menschen, weniger für Unternehmen

Was inspiriert uns Menschen am meisten? Die Geschichten und Gedanken von anderen Menschen. Es sind Menschen mit denen wir in den Bewerbungsgesprächen in Kontakt treten. Ein Unternehmen wird so wahrgenommen, wie wir die Menschen wahrnehmen und einschätzen. Ich habe es selbst erlebt, dass ein Interview 60 Minuten dauerte, statt der geplanten 30, weil das Gespräch interessant und inspirierend war. Ich habe es aber auch erlebt, dass ich während des Gesprächs dem Ende schon entgegen gefiebert habe. Eine Karriere-Homepage kann noch so schön ausgestaltet sein, wenn die Menschen in den Interviewprozessen nicht diese Wert und Kultur vermitteln, bringt diese herzlich wenig.

Aber es geht noch weiter. In einer Welt, in der man sich über Youtube so gut wie alles Wissen aneignen kann und alles irgendwie, irgendwo verfügbar ist, sind es vor allem die menschlichen Interaktionen, die uns weiterbringen und unseren Aufgaben einen Sinn verleihen. Was diese Generation sucht, ist nicht das sture Abarbeiten von Tickets oder die einfache Möglichkeit, neueste Technologien anzuwenden. Die Generation ist auf der Suche nach Inspiration — fachlicher und persönlicher. Wie gehe ich an Probleme heran? Wie können wir gemeinsam komplexe Probleme lösen, die für einen einzelnen unlösbar scheinen? Wie werde ich gefördert und gefordert? All das passiert zwischen den Zeilen und steckt nicht in der Abarbeitung irgendwelcher Tickets. Und all das entsteht aus der Interaktion mit den Kollegen und der Managerin. Es sind also die Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten, die uns das geben, was wir suchen. Und so ganz nebenbei: Es sind auch die Menschen, denen wir loyal gegenüber sind — nicht dem Unternehmen.

Das Bild, das wir von den Menschen haben, die uns in den ersten Gesprächen mit einem Unternehmen begegnen, wie inspirierend sie wirken, welche Haltung sie einnehmen, ist demzufolge ausschlaggebend dafür, ob wir uns für ein Unternehmen entscheiden. Weil es diese Menschen sind, die den Arbeitsalltag besonders reizvoll machen.

Deswegen gilt: Eine Investition in Mitarbeiter zahlt sich in doppelter Hinsicht aus. Sie sind es, die Wert schaffen und mögliche Talente mit ihrer Erfahrung, Einstellung und Vision an Bord holen.

Hypothese 3: Weiterentwicklung und persönliches Wachstum stehen zunehmend im Vordergrund

Zufriedenheit im Arbeitsalltag entsteht vor allem durch erfüllende Aufgaben, das Gefühl etwas beizutragen und sich persönlich weiterzuentwickeln. Die persönliche Weiterentwicklung ist von Bedeutung, weil diese unter anderem den inhärenten Drang eines Techies zu lernen und die Neugierde nach neuen Möglichkeiten erfüllt. Unsere Generation strebt nicht mehr nur nach reiner Arbeit, sondern versucht, Wertvorstellungen und Arbeit in Einklang zu bringen, indem die Sinnfindung und die persönliche Verwirklichung in der Arbeit angestrebt wird. Um also die besten Tech Talente anzuziehen und zu behalten, ist es wichtig, diesen intellektuellen Herausforderungen und Freiheiten zu bieten, damit sie sich wie gewünscht entwickeln können.

Dass genau diese persönliche Weiterentwicklung in der Hektik des Alltags oft untergeht, wissen wir nur zu gut. Deswegen muss diesem Thema eine umso größere Priorität eingeräumt werden und nicht nur als Nice-to-Have verstanden werden. Das allerdings bedarf unter anderem einem modernen Management-Ansatz. Zum einen müssen Manager geschult werden, wie sie die persönliche Entwicklung ihrer Reports fördern und auch als deren Coach auftreten können. Zum anderen wird die Aufgabe wichtiger, Projekte für Mitarbeitende zu identifizieren und zu schaffen, die im Einklang mit der Unternehmensstrategie und der persönlichen Entwicklung sind.

All das führt dazu, dass die Möglichkeit innerhalb eines Unternehmens zu wachsen, rollenspezifisch (oder doch rollen-unspezifisch) und eben auch persönlich, ein ausschlaggebendes Argument für Techies sein wird, sich einem Unternehmen anzuschließen und, viel wichtiger, diesem loyal zu bleiben.

Mit der richtigen Kultur werden Unternehmen attraktiv

Wie können Unternehmen ein interessanter und attraktiver Arbeitgeber für Tech Talente in der Zukunft sein? Da die Konkurrenz enorm ist und der Mangel an guten Talenten zunehmen wird, wird es für Unternehmen wichtiger, diese Frage zu beantworten.

Dabei sollten Unternehmen berücksichtigen, dass

  • Rahmenbedingungen sich angleichen und kein Alleinstellungsmerkmal mehr sein werden. Es nützt nichts, Dinge als solches zu verstehen, wenn diese längst keine mehr sind.
  • Menschen sich immer für Menschen entscheiden werden. Deswegen ist es umso wichtiger in die eigenen Mitarbeiter zu investieren und ein Arbeitsklima zu schaffen, welches interessante Persönlichkeiten hervorbringt.
  • Weiterentwicklung und persönliches Wachstum zunehmend im Vordergrund stehen. Ein Unternehmen ist ein Ort, an dem persönliche Interessen und Entwicklung mit der Unternehmensstrategie und Rollen-Aufgaben verbunden werden müssen.

Gelingt es Unternehmen, diese Punkte umzusetzen, bin ich davon überzeugt, dass dies ein großer Schritt in die richtige Richtung ist und das Werben von Tech-Talenten in Zukunft leichter fallen wird.

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